Digitalis und das Gelb des Vincent van Gogh
Gelb in der Kunst und die Farbe der Würde
„There are painters who transform the sun to a yellow spot, but there are others who with the help of their art and their intelligence, transform a yellow spot into the sun.“
„Es gibt Maler, die die Sonne in einen gelben Fleck verwandeln, aber es gibt andere, die mit Hilfe ihrer Kunst und ihrer Intelligenz einen gelben Fleck in die Sonne verwandeln.“
Pablo Picasso
Die Sonnenblumen von von Gogh begeistern die Welt in ungeahntem Ausmaß. Schließlich zählt Vincent van Gogh zu den finanziell erfolgreichsten Künstlern - posthum versteht sich! Das Porträt von Dr. Gachet wurde um 82,5 Millionen Dollar verkauft und war damit 1990 das teuerste Gemälde der Welt. Gelb hat was. In Asien ist Gelb die Farbe der Macht (nicht zu verwechseln: Macht ist nicht dasselbe wie Kraft!) Gelb war die Farbe der chinesischen Kaiser. Nur sie durften Gelb tragen. Gelb repräsentiert das Heilige und die Autorität.
„Die Erde (das Gelbe) lässt Yin und Yang entstehen“
So ist es kein Wunder, dass wir diese Farbe suchen und dass die Kaiser von China alles Gelbe für sich als Privileg beanspruchten. Ihre Bücher und ihr Papier waren gelb und Gelb musste auf ihre Wege gestreut sein.
Nicht ohne Grund bezieht sich das große und berühmteste Grundlagenwerk chinesischer Medizin, das 2000 Jahre alte Huang Di Nei Jing Su Wen - (wörtlich der innere Kanon des Gelben Kaisers oder die esoterische Schrift des Gelben Kaisers) auf den gelben Kaiser.
So ließ denn auch Deng Xiaoping vor Jahren verlauten : „Ich bin ein Sohn der gelben Erde“ [1]
Xanthopsie - Die gelbe Sicht auf die Welt
Xanthopsie ist Gelbsichtigkeit, eine Farbsehstörung, bei der meistens aufgrund einer Gelbfärbung der optischen Medien des Auges - zum Beispiel der Linsen - die Welt wie durch eine gelbe Brille gesehen wird. Eine beträchtliche Anzahl von Arzneimitteln, darunter Santonin (der wirksame Bestandteil des Wurmsamens, früher als Wurmmittel in Verwendung), Phenacetin, Äther, Chrom- und Pikrinsäure, Schlangengifte und Digitalis, werden mit Xanthopsie in Verbindung gebracht.
Besonders Digoxin (der Wirkstoff aus Digitalis lanata, dem Wollfingerhut) kann im Auge toxisch wirken. Denn besonders in den Zapfenzellen der Netzhaut des Auges, die uns die Farbwahrnehmung ermöglichen, finden sich hohe Konzentrationen des Zielenzyms von Digoxin.
Van Gogh und sein Gelb - eine Vergiftungsfolge?
So haben neben dem retrospektiven Sinnieren über mögliche Diagnosen von Vincents psychischen Zuständen einige Kollegen den Verdacht geäußert, das Gelb in van Goghs Malerei sei toxisch bedingt.
Als Hinweis dafür sahen sie den Fingerhut auf Dr. Gachets Tisch. Damals wurde Digitalis auch für die Behandlung von Epilepsie verwendet. Und so wurde vermutet, dass eine Überdosierung von Digitalis die Ursache für van Goghs Gelb sei.
Eine hervorragende Analyse von Anna Gruener[2]konnte diese Vermutungen entkräften. Dr. Gachet war Homöopath und mit den toxischen Seiten von Digitalis sehr wohl vertraut. Abgesehen davon hätte er Digitalis in homöopathischer Dosierung verwendet. Er schreibt selbst:
„We understand the physiologic effects of this plant well enough today to be afraid of its dangers, and strongly advise against its use, since it can produce syncope by slowing the heartbeat and it can cause paralysis of that organ“.
„Wir kennen die physiologischen Wirkungen dieser Pflanze heute gut genug, um ihre Gefahren zu fürchten, und raten dringend von ihrem Gebrauch ab, weil sie durch eine Verlangsamung des Herzschlags eine Synkope hervorrufen und eine Lähmung dieses Organs verursachen kann“.
Abgesehen davon ist das therapeutische Fenster von Digitalis so eng, dass eine chronische Überdosierung wohl tödlich gewesen wäre.
In dieser homöopathischen Repertorisation der Farbwahrnehmung van Goghs sieht man, dass Digitalis an 6. Stelle eine reine Vorliebe für Gelb hat. Homöopathen haben das durch Beobachtung und Arzneimittelprüfungen am Gesunden immer schon gewusst.
Die Kombination mit der Farbvorliebe Blau, die eindeutig parallel zu Gelb besteht, führt zu einer anderen Mittelwahl. Belladonna hat auch die Rubrik <durch Raserei - sich selbst verletzen> und ist damit ein viel passenderes Mittel als Digitalis, das auch sonst in keiner Weise passt. Eine Intoxikation mit Digitalis ist also unwahrscheinlich.
Die Farbwahl von Vincent van Gogh ist Ausdruck seiner Psyche und seiner emotionalen Struktur. Da die Farbwahl wie bei van Gogh allgemein ein individuelles Merkmal ist, kann man sie diagnostisch nützen. Bei van Gogh zeigt der Sprung von Gelb - Blau zu Rot eine emotionale Ausnahmesituation an.
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Quellen:
[1] Gudrun Dometeit: Der rote Kaiser, der China retten soll, Focus online: https://www.focus.de/magazin/archiv/der-geheimnisvolle-rote-kaiser-der-china-retten-soll-in-chinas-geheimnisvoller-machtzentrale_id_2285367.html. [captured: 30.04.2022].
[2] Anna Gruener: Vincent van Gogh’s yellow vision. Br J Gen Pract. 2013 Jul; 63(612): 370–371. doi: 10.3399/bjgp13X669266: National Library of Medicine: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3693787/ [captured: 30.04.2022];
Weitere Quellen: Vincent van Gogh and his illness. A reflection on a posthumous diagnostic exercise: Epilepsy Behav. 2020 Oct;111:107258. doi: 10.1016/j.yebeh.2020.107258. Epub 2020 Jul 3.; Xanthopsia and van Gogh's yellow palette: Eye (Lond). 1991;5 ( Pt 5):503-10. doi: 10.1038/eye.1991.93; Trevor-Roper P. The world through blunted sight. 3rd edn. London: Souvenir Press; 1997; Suzanne Ward: Did digitalis affect Van Gogh’s painting? BTG Specialty Pharmaceuticals: https://btgsp.com/en-us/insights/did-digitalis-effect-van-gogh-s-painting/ [captured: 30.04.2022]; Anna Gruener: Vincent van Gogh’s yellow vision. Br J Gen Pract. 2013 Jul; 63(612): 370–371. doi: 10.3399/bjgp13X669266: National Library of Medicine: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3693787/ [captured: 30.04.2022]; Lee TC. Van Gogh’s vision. Digitalis intoxication? JAMA. 1981;245(7):727–729. Ramlakhan SL, Fletcher AK. It could have happened to Van Gogh: a case of fatal purple foxglove poisoning and review of the literature. Eur J Emerg Med. 2007;14(6):356–359. Kathryn Harkup: The guardian; It was all yellow: did digitalis affect the way Van Gogh saw the world? https://www.theguardian.com/science/blog/2017/aug/10/it-was-all-yellow-did-digitalis-affect-the-way-van-gogh-saw-the-world [captured: 3004.2022]